Paperback | 89 Seiten + 1 Karte | ISBN 978-3-936271-49-2 | 12,00 Euro
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Der Grundgedanke des Sprach- und Heimatforschers Eduard Kück läßt sich in einem einzigen – an das bekannte Marx-Zitat angelehnten – Satz zusammenfassen: Das gesellschaftliche Sein bestimmt nicht
nur das Bewußtsein, es bestimmt auch die Sprache, in diesem konkreten Fall die unterelbische Mundart. Kück betrachtet die Sprache gleichsam durch ein Mikroskop, dessen Linse den »Organismus der
Sprache« in seine einzelnen »Zellen« zerlegt. Ausgehend von seiner Beobachtung, daß einige benachbarte Dörfer die gleiche Mundart und Aussprache haben, ein weiteres, ebenfalls benachbartes Dorf
sich jedoch in seiner Sprache wesentlich von den anderen unterscheidet, versucht er diese Gleichheiten und Unterschiede aus der früheren Geschichte zu begründen. Mundartliche Grenzen, so seine
Theorie, haben nichts mit (heutigen) Bezirks-, Gemeinde- oder Pfarrschaftsgrenzen zu tun, sondern gehen auf die mittelalterlichen Markgenossenschaften – d. h. Siedlungsverbände mit gemeinsamer
Waldnutzung – zurück. Enge wirtschaftliche Verbände, so Kück, bildeten auch enge sprachliche Verbände, die sich bis ins 20. Jahrhundert hinein ihre Eigenheiten bewahrt haben. Was für uns heute
logisch und schlüssig klingt, war damals (das Buch erschien 1924) eine durchaus revolutionäre Idee: Was die Leute zusammenhält, ist nicht der Staat oder die Religion, sondern ihr wirtschaftlicher
Alltag.
Obwohl Kücks Untersuchung sich auf die ihm durch seine Herkunft und durch seine Arbeit als Heimatforscher bestens vertraute Gegend der unterelbischen Nordwestheide um Hollenstedt konzentriert,
ist dieses Buch eine Fundgrube für alle, die sich für Linguistik interessieren – auch für nicht Ortsansässige. (So findet etwa der »Hobby-Sprachforscher« in Kücks Beispielen viele überraschende
und vergnügliche Beweise für die enge Verwandtschaft des Plattdeutschen zum Angelsächsischen.) Ebenso interessant ist jedoch auch die Sprache des Autors selbst: Der heutige Leser wundert sich
über allerlei Bedeutungsveränderungen und -verschiebungen, die in weniger als hundert Jahren stattgefunden haben. Eine »Gemeinheit« war damals noch keine Perfidie, sondern schlicht ein
Gemeinwesen (ein Rest davon findet sich noch im heutigen Wort »Allgemeinheit«).
In jedem Fall wird das Buch jeden, der Interesse an der Sprache und ihrer Entwicklung hat, dazu animieren, über seinen eigenen Dialekt, bestimmte mundartliche Ausdrücke oder Redewendungen
nachzudenken, die im Verschwinden begriffen sind. Die Sprachreise ins Unterelbische wird zur Reise in die eigene, persönliche Geschichte und zum Exempel dafür, wie die moderne Welt sprachliche
Eigenheiten zunehmend »glattbügelt« und den Reichtum der Sprache (auch der eigenen) beschneidet.